Pierre Aerni

Das Burger und Mandatenbuch

Bolligens von 1700

Kirchgemeindearchiv Bolligen

Pierre Aerni

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts nahm die Bevölkerung im Kanton Bern rasch zu. Weil das Gemeindegebiet wegen der Nähe der Stadt und vor allem wegen des um Worblen entwickelnden Gewerbes eine grosse Anziehungskraft hatte, entstand für die Gemeinde ein soziales Problem mit den Hintersässen und den unbegüterten Zugezogenen.

Im Jahre 1700 wurde in Bolligen ein «Burgerbuch» angelegt, in dem die in Bolligen Heimatberechtigten eingetragen wurden. Wer nicht verzeichnet war, aber innerhalb des Gemeindegebietes Wohnsitz hatte, der musste sich zur Hinterlegung seines Heimatscheines verpflichten. Dieser garantierte von der ausstellenden Gemeinde die Unterstützung bei Armengenössigkeit. Die Folgen dieser Entwicklung sind das Burgerrecht und die ländliche Burgergemeinde.

Die Einleitung, die der Pfarrherr Berset unter dem Titel «Erinnerung» dem Burger-Verzeichnis voransetzte, beschreibt anschaulich das Prozedere, wie damals das Heimatrecht registriert und festgehalten wurde. Sie widerspiegelt vor allem die Sorge des Seelenhirten, es könnten sich aus den Gewerbebetrieben unten an der Worblen Fremde anmassen, das Burgerrecht zu erwerben. Dabei fällt auf, dass Pfarrer Berset die Weisungen der Bettelordnung entweder nicht verstanden oder mit Absicht ignoriert hat.

Erinnerung.

Nach dem die Kirchen Gemeind von Bolligen, welche nach an der Statt gelegen, da allerhand Frembde sich suchen niderzusetzen, von vielen der gleichen ausseren von Zeit zu Zeit bewohnt wirt, die nachgehends bey zustossender Gelegenheit den ihnen bewilligten Hindersitz in ein natürlich Burgerrecht verwandlen wollen, und daher zu besorgen war dass endlich die wahren Kilchgenossen mit mehr wohl von den anderen zu unterscheiden sein wurden und hiemit das Burgerrecht leichtlich einem frembden könte geduldet oder hingegeben werden der keine rechtmässige ansprach daran hätte und hingegen einem wahren Burger leicht unbillich könte abgesprochen werden. Als hat Eine Ehrsame gemeind neben anderen mitlen, so sie wider dieses übel zu Handen genommen, auch für gut angesehen, die jenigen, so Ihr Heymath in diesem Kirchspiel haben und wahre Kilchgenossen sind, aufzuzeichnen und in ein währschaffl buch zusammen zu bringen. Zu diesem End hat Sie auss jedem Viertel Zwey alte, verständige unpartheyische Männer ausgeschossen die mit Beyhülff ihres Pfarrers, so viel Ihnen die gedächtnuss dienen möge, alle Einheimischen Bürger aufs papier gebracht haben. Und damit auch hierinn kein Betrug geübt oder Verschuss gegen dem einten oder anderen geschehen möchte, hat sie den gemachten aufsatz Ihro der ganzen Gemeind vortragen und ablesen lassen, dass auch sie Ihr Urtheil von eines jeden Burgerrecht geben möge, und nach dem solches geschehen und also eines jeden recht gewogen worden, sind die befundenen Burger folgendes von dem Pfarrer in gegenwärtiges Buch nach ordnung der Buchstaben in Treuen eingeschrieben worden: Jedoch mit diesem heiteren Vorbehalt, dass wo dess Einten oder Anderen der sich aussert Lands mochte aufgehalten haben, nit wäre gedenckt worden, seine Vergessung und ausschliessung auss diesem Buch Ihme keineswegs nachtheilig sein soll, so er anders sein Burgerrecht mit Gnugsammen gründen bescheinigen kan.

Actum den 24 February 1700 Berset Predicant


Pierre Aerni

Selbst die Regierung war mit ihren Weisungen zwiespältig. In einem Kreisschreiben vom 15. Oktober 1675 hat sie empfohlen, «dass auch bedachtlich ghandlet werde mit Annehmung der Hintersessen» und nur die Leute aufgenommen werden, die sich und die Ihrigen selbst erhalten können und nicht der
Armenpflege zur Last fallen.

Die gleichen Vorsichtsmassnahmen prägten auch den «Freiheitsbrief», den die Regierung am 10. Juni 1679 «zu gunsten der Kilchhöri Bollingen» erlassen hatte. Der letzte Abschnitt dieses Briefes betrifft das Gewerbe und lautet: Den Besitzern der «Papiermühlenen, Kupferhammerschmitten und Thratzugs» sind keine verheirateten Dienste (Arbeiter) zu dulden, es sei denn, «dass dieselben formbliche Schyn ihres anderstwo habenden Heimatrechtes (Heimatschein), dahin sie heüt oder morgens zeüchen dörffen, aufweisen könind», sonst müssen die Besitzer der Gemeinde schriftlich zusichern, dass sie arbeitsunfähig gewordene Leute ohne Schaden der Gemeinde unterhalten werden.

In der von Pfarrer Berset kommentierten Liste der als «Burger» anerkannten Personen kommt auch der Begriff «Einzuggeld» vor. Bevor die Verordnungen von 1676 und 1679 in Kraft traten, war der Erwerb des Burgerrechtes nur durch den Erwerb von nutzungsberechtigten Gütern und Häusern oder durch Bezahlung eines Einzugsgeldes möglich. Dieser im Gegensatz zum jährlich zu bezahlenden Hintersassgeld nur einmal zu entrichtende Betrag wurde auf Empfehlung der Obrigkeit gegen Ende des 17. Jahrhunderts mancherorts drastisch erhöht, was auch aus den Eintragungen hervorgeht. Es bestanden auch Bestimmungen, die es einem Fremden erschwerten, ein Haus oder ein Grundstück in der Gemeinde zu erwerben.

Im Anschluss an dieses aufschlussreiche Verzeichnis, in dem übrigens die Bewohner der Herrengüter nicht erwähnt sind, weil diese allesamt Burger von Bern waren, hat der Schreiber zwei Fälle eintragen müssen, bei denen offensichtlich die Almosenkamrner eingegriffen hatte und dabei gezwungen war, auf die Weisungen der Bettelordnung zu verweisen:

Pierre Aerni

Im «Burger- und Mandatenbuch» ist der Name Ärni nicht im Hauptteil sondern unter dem Register «Über die Erkanntnussen wegen streitigen Heimath Rechten zu Bolligen» aufgeführt.

Andres Ärny

AAndress Ärny der Hammerschmid so lange jahr zu Worblauffen gesessen und kein ander Heymath nit weiss, auch darneben von der Bettelordnung allda bezogen worden. Als findend MhGh. Allmusens Directoren dass derselbe sambt den Seinigen ihr Heymathrecht allhier zu Bollingen haben sollen: und hiemit die G’meind schuldig sein solle, dessen Sohn Samuel einen Heymathschein zu ertheilen damit er ferners sambt den seinigen zu Frutigen geduldet werde; widrigen fahls so etwann Oppositions Gründ einzuwenden so soll man sich vor Mhgh, der Cammer stellen. Actum den 17 Dbr. 1692

Samuel Rüetschi Oberspittal Schrbr.

Selbst die Regierung war mit ihren Weisungen zwiespältig. In einem Kreisschreiben vom 15. Oktober 1675

Besonders der «Fall Ärny» ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie die Almosenkammer bei ihren Zwangszuteilungen damals vorging. Warum wurde ein Entscheid vom Jahre 1692 vom Pfarrherren im acht Jahre später erstellten Verzeichnis nicht berücksichtigt?

Die einzelnen Burger wurden in drei Kategorien unterschieden: Die alten Burger, die sich eingekauften Burger und eine Gruppe, wo die Bezeichnung alt fehlt, bei denen es sich wohl mehrheitlich um zugezogene Handwerker in den Gewerbebetrieben handelte, die nach den Weisungen der ”Allmusens Directoren” Aufnahme fanden.

Share by: