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Heimatort Bolligen BE​​​​​​​



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Vorwort


Vor etwa zwanzig Jahren beschloss ich eines Tages den Spuren unserer Familie nachzugehen. Mit Papier und Bleistift bewaffnet stöberte ich zuerst in allen Telefonbüchern der Schweiz nach unserem Namen. «Guten Tag, hier spricht auch Aerni» tönte es durch die Leitung. Verschiedene kleine Ästchen, noch lose auf Papierblättern, versuchten sich zu einem Stammbaum zusammenzufügen. Es stellte sich aber schnell heraus, dass auf diese Art das Problem nicht zu lösen ist.

Mit meinem Bruder Claude reiste ich zum ersten Mal in unser Heimatort Bolligen. Herr Stalder, der damalige Zivilstandsbeamte, hatte Verständnis für unser Anliegen und bot uns Einsicht in die von uns so heiss begehrten Bücher, kiloschwere Familienregister mit unserem Namen «Aerni» auf allen Seiten. Es sollte aber noch besser kommen. Im alten Tresor reihten sich, sorgfältig numeriert, ein Rodel nach dem andern. Über 20 in Leder eingebundene Bänder mit handgeschriebenen Eintragungen von Taufen, Ehen und vom Tod. Und dann diese Jahreszahlen. Voller Erstaunen lesen wir auf dem Buchrücken des ältesten Bandes «1553 – 1587».

Die Euphorie war von kurzer Dauer. Schon beim ersten Blick in einer dieser Rodel mussten wir klein beigeben. Diese Schrift, absolut unleserlich! Nur zwischendurch ein verständliches Wort. Die Rodel neueren Datums enthielten Register. Prima. Aber wir wollten ja unseren Baum von vorne aufbauen. Vor ca. 1730 gab es diese Hilfe aber noch nicht und so kämpften wir uns Seite um Seite durch, um das Wörtchen «Aerni» zu entdecken. Wieder diese Schrift, noch unlesbarer als vorher. Mühsam begann das Vergleichen von Buchstabe zu Buchstabe. «Schau, hier hat er das «A» so geschrieben». Hatte man sich an eine Handschrift gewöhnt, folgten nach ein paar Seiten die Einträge eines neuen Pfarrers und der hatte bestimmt nicht die gleiche Handschrift wie sein Vorgänger. Nach etwa einer halben Stunde der erste grosse Fund. Ich weiss heute nicht mehr war’s der «Hans» oder der «Bendicht», aber ich wusste, dieser Eintrag war über 250 Jahre alt.

Nach mehrmaligen Besuchen bei Herr Stalder  hatten wir oben heraus ein stattliches Baumgeäst. Nur der Wurzelteil war noch ein loses Durcheinander. Wir hatten Namen und Jahreszahlen aber keine Verbindungen. Glücklich war ich, wenn z.B. in einem Todtenrodel stand: «im Alter von 68 J. gest.» So hatte ich auch gleich das Geburtsjahr. Dennoch war es schwierig, die Teile zu einem ganzen zusammenzufügen. Annahmen und blanke Theorien haben in einem Stammbaum nichts zu suchen. Der unfertige Baum blieb in der Mappe liegen.

1992. Neuer Anlauf. Diesmal unterstützt mit modernster Technik, dem Computer. Daten werden gespeichert, Namenslisten erstellt und Resultate ausgedruckt. Das elektronische Telefonbuch ermöglicht mir die Erfassung aller Namensvetter in der Schweiz. Von den 500 Telefonnummern mit unserem Namen sind ca. 125 Bürger von Bolligen. Die Restlichen sind Bürger aus den Kantonen AG, LU, SG und SO oder aus anderen Berner Gemeinden wie Heimenhausen, Hilterfingen und Zollikofen.

Sämtliche Rodel aus dem ganzen Kanton befinden sich heute im Staatsarchiv in Bern. Aus der Traum vom herumblättern hochwertiger alter Büttenpapiere. Nur noch die Einsicht auf Mikrofilm ist möglich. An den zwei modernsten Einrichtungen kann direkt eine Fotokopie des Bildschirminhaltes erstellt werden. Alle alten Rodel ohne Register werden komplett kopiert und zu Hause nochmals minutiös unter die Lupe genommen. Es hat sich gelohnt. Lücken begannen sich zu schliessen und die vorher noch losen Verbindungen ergeben einen Sinn.

Jetzt begann es interessant zu werden. Ich wollte mehr wissen. Was für Berufe übten unsere Urahnen aus, wie lebten sie, wo wohnten sie? Wie waren die damaligen Verhältnisse? Alles Fragen, auf die meine Namen und Daten keine Auskunft gaben. Von meinem Freund Hans Minder aus Lauperswil, der sein Studium mit Ahnenforschung finanzierte, erfuhr ich viel über dieses Gebiet. Viele neue Begriffe wie ”Chorgerichtsmanual” (Aufzeichnungen vom Sittengericht) oder das altbernische Wort ”Genist” für Geburt erweiterten meinen Wortschatz. Wo waren die Chorgerichtsmanuale von Bolligen? Die Nachfrage im Staatsarchiv war negativ. Durch den Zusammenschluss der Gemeinden um Bolligen befand sich das Zivilstandsamt jetzt neu in Ittigen. Auch dort war nichts zu finden. Nicht in der politischen-, aber in der Kirchgemeinde Bolligen fand ich mein Glück. Das gesamte Archiv der Kirche lagerte jahrelang verwahrlost unter dem Dach der Kirche, bis sich vor einigen Jahren Altarchivar Paul Bucher der Sache annahm. Alles wurde fein säuberlich sortiert und im Keller des Kirchgemeindehauses untergebracht. Endlich, hier lagen sie, die gesuchten Chorgerichtsmanuale. Aber noch andere Kostbarkeiten wie das Mandatenbuch, Erkanntnussen des Gemeinderats, Admissionsrodel, alte Ehe- und Taufscheine, Trüllscheine, Korrespondenz zwischen der Obrigkeit von Bern und den Herren Pfarrern aus Bolligen, Akten über den Feldzug von 1798 usw., kurz, eine ware Fundgrube. Etappenweise durfte ich diese Kostbarkeiten zu Hause studieren. Stundenlanges Lesen der mir in der Zwischenzeit vertrauten Handschriften jedes einzelnen Pfarrers von damals.

1995. Der zivilstandsamtliche Teil meiner Arbeit war praktisch vollumfänglich erfasst aber stellte mich nicht zufrieden. Die optische Würze fehlte. «Ein Bild sagt mehr als tausend Worte» und die Suche nach Ahnenbildern begann. Allein über die Kontakte mit noch unbekannten Verwandten könnte man ein spannendes Kapitel schreiben! Aber wie findet man Sie?  Ursula Molone geb. Aerni, z.B. ist die einzige noch lebende Person ihres Zweiges. Keine Möglichkeit bei Eltern oder Geschwistern die Adresse zu erhalten. Lebt sie überhaupt noch in der Schweiz? Ich weiss nur, dass sie einen Mario Molone aus Osco heiratete. Mit Hilfe der Telefon-CD der Schweiz finde ich tatsächlich eine Telefonnummer in Osco auf den Namen Molone. Monatelang hat es am anderen Ende geklingelt aber niemand hebt den Hörer ab. Wie weiter? Auf der kleinen Gemeindebehörde von Osco erkundige ich mich nach diesem Molone. «Si, si, wir kennen Mario Molone, der Gemeindepräsident von Vezia, hier in Osco ist nur seine Ferienwohnung» und zu dieser positiven Antwort gab er mir auch gleich noch die Telefonnummer von Vezia. Ursula war hocherfreut, wenn auch entfernte aber wieder Verwandte kennenzulernen!
Sehr viel Freude bereitete mir auch die Bekanntschft von Felicitas Aerni-von Erlach in Bern. Beim ersten Telefongespräch auf die Frage nach dem Vorhandensein von etwaigen alten Dokumenten bekam ich zu hören: «Irgendwo ha ni no en huufe vo sotige Zedeli». In der Tat hatte Felicitas nicht nur viele solcher «Zedeli». Neben einer Daguerrotypie von 1860 befanden sich noch andere photographische Kostbarkeiten in Ihre Besitz.
Auch die mündlichen Überlieferungen von den ältesten Verwandten sind kostbarstes Gut bei einer solchen Arbeit. So berichtete mir der 96-jährige Emil Aerni (Jahrgang 1902) viel über sich, seine Geschwister, den damaligen Verhätnissen und mit viel Begeisterung über seine Erlebnisse als Lokführer bei der Waldenburgerbahn.

1997. Von unserem Urvater «Andres» von 1630 hatte ich eine nie zu erwartende Fülle von Informationen in Erfahrung bringen können. Aber was geschah in der Zeit von 1750 bis 1870 auf dem Ferenberg?  Wie und wo haben unsere Ahnen gelebt? Stehen die Höfe, Speicher und Stöckli von damals noch? Besuche im Gemeindearchiv Bolligen und der Gang auf das Grundbuchamt in Bern belohnten mich mit reichhaltigem Material. Die Freude war gross auch wenn sie wieder verbunden war mit stundenlangem Entziffern von neuen und noch ungewohnten Handschriften der Amtsschreiber. Die Fülle der Land- und Liegenschaftsverträge, neue Fakten und die angesammelten Erkenntnisse der Zusammenhänge veranlassten mich, das Konzept meiner Arbeit nochmals umzugestalten.

1998. Praktisch das ganze Jahr verbrachte ich mit dem Zusammentragen von noch fehlenden Familienfotos. Einscannen, Retouchen, Texterfassung, Korrekturen und zuletzt das Drucken waren die letzten
Schritte zur Vollendung dieses Werkes.

Meinen grössten Dank geht an meine Frau Nina. Über all die Jahre stand sie mir hilfsbereit zur Seite und war stets meine schöpferische Energiequelle.

Viel Vergnügen beim Lesen                   Pierre Aerni